Japanisches Architekturverständnis trifft bei Architekt Ernst Beneder auf die gewachsene Struktur seiner Heimatstadt Waidhofen. Der Ausheimische erzählt, wie er gleichzeitig den besonderen Charakter der Stadt erhält und Neues schafft.

 

Zum Zeitpunkt meines Schulabschlusses galt meine Berufswahl des Architekten als ausgefallen in meiner Heimatstadt Waidhofen. Dabei nahm die Stadt selbst vielleicht einen größeren Einfluss auf meinen Werdegang als Architekt, als ich zunächst vermutete.

Durch mein Architekturstudium in Wien begann ich meine Herkunftsstadt durch neue Augen zu sehen. Vieles von dem, was ich im Studium lernte, konnte ich dort dechiffrieren. Bauformen, die an der Universität anhand prominenter Orte vermittelt wurden, fand ich am Wochenende etwa im Haus der Großeltern wieder. Diese Stadt entpuppte sich als Architekturschule par excellence.

Als ich mit dem Studium fertig war, sorgte ich mit meinem ersten Projekt in Waidhofen für Aufsehen. Es handelte sich dabei um ein Wohnhaus, das schlussendlich verhindert wurde, weil es für einige nicht mit dem Ortsbild vereinbar war. Seitdem wurde ich hier – je nachdem, ob ich erneut einen zu außergewöhnlichen Entwurf vorgelegt, oder aber einen renommierten Preis gewonnen habe – entweder als Skandal- oder Stararchitekt gehandelt.

Ich selbst sehe mich als Architekt, der mit offenen Augen durch die Stadt geht und aktiv Vorschläge einbringt. So antwortete ich auch mit einem umfangreichen städtebaulichen Leitprojekt, als Waidhofen eine Neugestaltung der Innenstadt als Fußgängerzone anfragte. Es entstanden 14 Projekte, die alle das Ziel verfolgten, besondere Räume der Stadt für alle zugänglich zu machen. Das Rathaus wurde umgebaut und das Ybbsufer erschlossen. Auch die Stadtplätze wurden damals bloß als Verkehrsfläche wahrgenommen. Die neue Topografie hat ihre räumliche Wirkung wieder gestärkt.

Heute wirken die Stadtplätze Waidhofens einnehmend und umarmend. (c) Ernst Beneder

Ich bin zwar mit meinem Büro in Wien angesiedelt, muss aber oftmals die Stadt verlassen, um mich als Architekt entfalten zu können. Denn im ländlichen Raum eröffnet sich eine Vielfalt an architektonischen Herausforderungen. In Waidhofen habe ich etwa das Rathaus und das Museum umgebaut, Brunnen entworfen und ein Wohnungsprojekt in einem Turm, der ehemals Teil der Stadtmauer war, realisiert.

Wohnen im Turm der ehemaligen Waidhofener Stadtmauer (c) Ernst Beneder

„Ausheimisch sein“ finde ich als Wortschöpfung sehr passend und auf meine Situation zutreffend. Für meinen Blick auf Waidhofen war das Fortgehen immer befruchtend. Das führte auch dazu, dass ich mich nie zur Gänze an einem Ort niederließ. Ich wohne bis zum heutigen Tag in – nicht unkomfortablen – Provisorien. Zuhause bleibt für mich ein abstrakter Raum. Bis heute bin ich nicht dort angekommen.

Meine nomadische Situation erstreckt sich weit über Österreich hinaus. Ich lebte und unterrichtete in den USA, in Frankreich, Deutschland und Chile. Am meisten prägte mich aber Japan. Den Auftakt meiner anhaltenden Beziehung zu Japan bildete ein Post-Graduate-Stipendium im Jahr 1984. Seitdem bin ich anlässlich eines Forschungsstipendiums, Exkursionen, Publikationsvorbereitungen und Gastprofessuren häufig zurückgekehrt. Die Auseinandersetzung mit Land und Leuten nahm großen Einfluss auf mein Architekturverständnis. Ich lernte, dass es im Gebauten eine Identität gibt, die sich immer wieder neu findet. In Japan hat man die Vergänglichkeit von Strukturen akzeptiert und baut dadurch auf eine sehr leichte Art und Weise – gleichzeitig aber nachhaltig, sodass das Gebaute immer wieder in Neues übergeführt oder recycelt werden kann.

Der erste Aufenthalt in Japan 1984 (c) Ernst Beneder

Solch eine feinsinnige Herangehensweise betrachtet die vorhandenen Ressourcen und das verfügbare Handwerk, um das Beste aus einer Situation herauszuholen. Diesen Zugang kann man auch auf historisch gewachsene Städte wie Waidhofen übersetzen.

Ausheimische bringen ganz neue Erfahrungen in die Gemeinden. Einst waren es der Pfarrer, der Lehrer und der Doktor, die zusammensaßen. Heute sind es die Ausheimischen, die aufs Land zurückkommen und sich hier austauschen. Da erzählt der eine, wie es im Dirigierkurs von Leonhard Bernstein war und ich von Japan und der Architektur. Das ist für alle eine große Bereicherung.

 

Gastprofessur an der Tokyo University of Science 2015 (c) Ernst Beneder

Waidhofen hat mit seinem vielfältigen Schulangebot einen Grundstein für die Diversität der Lebensgeschichten gelegt. Durch eine gewisse Offenheit seitens der Gemeinde kehren Ausheimische gerne zurück. Da sie nicht am Vereinsleben partizipieren, brauchen sie andere Plattformen, über die sie sich einbringen können und Gehör finden.

Für die Zukunft Waidhofens wünsche ich mir, dass die Menschen hier die Einzigartigkeit ihrer Struktur erkennen. In dieser Stadt hat man früh das Beste aus seiner (natur-)räumlichen Situation herausgeholt, wodurch eine sehr hohe Lebensqualität entstand. Diese Herangehensweise muss sich weiterhin gegen ein Patchwork von Klischees durchsetzen.

Was meine Rolle dabei sein wird? Vielleicht werde ich weiterhin provisorisch hier wohnen. Die Zukunft ist nicht planbar.