Was hält die Welt im Innersten zusammen? Die Begeisterung für Physik brachte Stefan Brünner auf das internationale Parkett der Wissenschaft – die Musik führt ihn immer wieder nach Bad Blumau.
Ich verließ Bad Blumau in zwei Schritten. Zunächst lebte ich in Graz und studierte Physik. Gegen Ende des Studiums fragte ich mich: Wie geht es jetzt weiter? Ich kam aus dem Bereich der theoretischen Physik und wollte unbedingt in die experimentelle Physik eintauchen. Speziell die sogenannte Dunkle Materie faszinierte mich. In Österreich gab es dafür aber keine Perspektive.
Am Max-Planck-Institut in Heidelberg wurde ich schließlich fündig – ich ließ Graz hinter mir und schrieb meine Diplomarbeit dort. Die Universitätsstadt gefiel mir auf Anhieb gut. Der Beginn in Heidelberg war dennoch ein Sprung ins kalte Wasser. Ich kannte keine Menschenseele, außer dem Professor, den ich wenige Monate zuvor zum Aufnahmegespräch traf. Wie sich herausstellte, wusste meine zukünftige Arbeitsgruppe nichts von meiner Ankunft. Der Anfang war also etwas holprig. Ich lebte mich aber ein, schloss das Physikstudium ab, absolvierte anschließend das Doktorat in Physik und nahm darauf hin gleich noch eine Post-Doc-Stelle an.
Durch meine Arbeit bin ich viel unterwegs. Ich arbeite in einem internationalen Forscherteam das zum Ziel hat, die Dunkle Materie direkt nachzuweisen. Der dafür konstruierte Detektor steht in einem Untergrundlabor im Inneren der italienischen Abruzzen. Einige Wochen pro Jahr verbringe ich daher dort. In Heidelberg arbeite ich an der Analyse der Daten aber auch an Techniken, um geringste Mengen natürlicher Radioaktivität in unserem Experiment nachzuweisen. Radioaktive Zerfälle würden nämlich seltene Dunkle Materie Signale in unserem Detektor überdecken. Dazwischen besuche ich internationale Konferenzen oder treffe KollegInnen aus anderen Ländern. Früher verspürte ich oft Fernweh, heute wird das durch meine vielen Reisen gestillt.

Kein alltäglicher Arbeitsort: Der Dunkle Materie Detektor im Untergrundlabor in den italienischen Abruzzen (c)Stefan Brünner
Nach Bad Blumau komme ich gewöhnlich drei Mal im Jahr. Bei meinen Besuchen zuhause lese ich gerne die Gemeindezeitung. Ich interessiere mich sehr dafür, wie sich Bad Blumau weiterentwickelt, was neu ist oder auch wer sich wie in der Gemeinde einbringt. Schließlich kenne ich die meisten Leute dort seit meiner Kindheit. Beim Lesen merke ich aber auch, dass sich der Blick auf das Gemeindegeschehen verändert hat. Diesem Blick fehlt der aktuelle Kontext. Ich betrachte die Entwicklungen aus einer größeren Distanz. Das ist nicht unbedingt ein besserer oder geschulterer Blick. Ich denke, es ist aber immer gut, mehrere Blickwinkel zuzulassen.
Wie sich der Austausch mit Menschen wie mir, die eine Außenperspektive mitbringen, tatsächlich gestaltet, ist eine andere Frage. Dafür braucht es ein Mittel, worüber der Kontakt gehalten wird. Bei mir ist das neben der Familie der Musikverein.
Während meiner Studienjahre in Graz war ich noch aktives Mitglied im Musikverein. Ich war Kapellmeister und die wöchentliche Probe ein Pflichttermin. Nach wie vor pflege ich eine enge Beziehung zum Verein. Einige Mitglieder meiner Familie sind ebenfalls Mitglieder des Vereins. Dadurch gehen Hobby, Familie und auch Freunde eng miteinander einher, was beim Besuch in der Heimat natürlich praktisch ist. Wann immer es möglich ist, spiele ich auch selbst mit – entweder beim jährlichen Frühjahrskonzert oder beim Neujahrsgeig’n. Hier gehen wir nach Weihnachten von Haus zu Haus, spielen dort ein G’stanzl an und wünschen ein gutes neues Jahr.
Die Besonderheit solcher Traditionen wurde mir erst richtig bewusst, als ich im Musikverein Dossenheim zu spielen begann. In der Nachbarstadt von Heidelberg hat man sich anfangs sehr über meine Erzählungen von unseren österreichischen Bräuchen amüsiert. Eine Marketenderin, die den Schnaps trägt, kannte dort bislang niemand. Auch mit der Anrede des Dirigenten als Kapellmeister sorgte ich anfangs für Erheiterung.

Über die Musik schafft Stefan Verbindungen nach Hause. Am Bild: Das Brass-Quintett Dossenheim (c)Stefan Brünner
Nun werden diese beiden „Welten“ bald aufeinandertreffen. Mein Schwager, der Obmann des Musikvereins Bad Blumau ist, und ich beschlossen, den Dossenheimer Musikverein dieses Frühjahr nach Bad Blumau einzuladen. Meine Vorfreude ist groß und ich bin auch wirklich gespannt, was dieser Austausch mit sich bringt. Die Dossenheimer Musikerinnen und Musiker kennen meine Heimat, die Bräuche und Gepflogenheiten, aber auch die Menschen aus dem Ort nur aus meinen Erzählungen. Jetzt stehen sie sich erstmals gegenüber. Durch Initiativen wie diesen Besuch entstehen Verbindungen, die es sonst nicht gegeben hätte. Leute lernen sich kennen, die sich nicht kennengelernt hätten. Wenn man, so wie ich in Dossenheim, von außen in eine Gruppe kommt, agiert man automatisch als Netzwerker.
Leider werde ich Heidelberg in naher Zukunft wieder verlassen und eine weitere Post-Doc-Stelle in einer anderen Stadt antreten. Möglichkeiten gäbe es viele, denn das Experiment, an dem ich arbeite, ist international aufgestellt. Auch amerikanische und japanische Gruppen arbeiten daran. Für mich ist aber klar: Ich will in Europa bleiben. Hier weiß ich, dass ich mich in den Zug setzen kann und nach Bad Blumau fahren kann. So gesehen ist Bad Blumau meine emotionale Heimat.
Für meinen beruflichen Weg musste ich den ländlichen Raum verlassen. Ich denke der Grund für Landflucht ist fast immer der Job. Das Leben am Land könnte ich mir prinzipiell zwar gut vorstellen, eine möglichst kurze Anreisezeit zu meiner Arbeit ist für mich momentan aber wichtiger. Will man der Landflucht entgegenwirken, müsste man die öffentlichen Transportmittel im ländlichen Raum verbessern. Ist die öffentliche Anbindung zum Arbeitsplatz gut, würde ich vielleicht auch eine längere Anfahrtszeit in Kauf nehmen. Schließlich hat das Landleben große Vorteile.
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