Sibylla Zech beschäftigt sich als Raumplanerin mit Regionen, die nicht ganz der Stadt, nicht ganz dem Land zugehören. Auch sie selbst fühlt sich in beiden Welten zuhause: Auf der einen Seite steht der langjährige Wohnort Wien als lebendige und rege Stadt. Auf der anderen steht die Bergkulisse Vorarlbergs. Dort zwischen den Bergen im Walgau fanden Sibyllas Ideen schon zu Studienzeiten Raum zur Entfaltung.

Als ich als Kind erfahren habe, dass die Erde eine Kugel ist, habe ich mir vorgestellt, dass wir in Nenzing in der Kugel leben. Die Berge sind der Rand und dann spannt sich der Himmel darüber. Wenn ich heute an meinen Herkunftsort Nenzing denke, dann sehe ich diese Kulisse vor mir. Die Berge, die nicht zu hoch und nicht zu schroff sind. Dieses Eingebettet-Sein in das Tal, in den Walgau. Und natürlich denke ich an meine Eltern, Schwestern, Großeltern, die Nachbarschaft und meine alten Freundschaften. Wenn ich mit diesen Menschen heute zusammenkomme, ist es immer so, als hätten wir uns erst gestern gesehen.

Ich habe den Begriff „Ausheimische“ schon seit längerer Zeit für mich in Verwendung. Ich lebe seit fast 40 Jahren hauptsächlich in Wien, arbeite dort als Stadt- und Raumplanerin und unterrichte an der Universität. Somit bin ich nicht nur Ausheimische aus Nenzing, sondern in Nenzing bin ich auch Ausheimische aus Wien. Solche „Heimischkeiten“ überlagern sich bei mir und stehen nicht im Gegensatz zueinander.

Das Studium zog mich nach Wien. Beim meiner Ankunft Ende der 70er-Jahre war Wien eine graue Stadt. Wie viele andere europäische Städte hatte sie den Krieg noch nicht so richtig verdaut. Aber sie hatte einen ganz lebendigen Untergrund. Das rege Studentenleben machte mir das Ankommen einfach.

Heimweh hatte ich nicht – nur liebevolle Gedanken an einen Ort und an Menschen, die mir am Herzen lagen. Was mich immer wieder zurück nach Nenzing und Umgebung zog, war die Chance mitzugestalten. Ich hatte dort die Möglichkeit, meine Fähigkeiten als Raumplanerin zu erproben.

Ich durfte mit neunzehn Jahren in den Sommerferien die Radrouten im Walgau festlegen. Oft hat es bei den Erhebungen geschüttet, oft war es brutal heiß. Es war auch aufregend, in Gemeindeämter hineinzugehen, wo ich anfangs eine gewisse Schwellenangst überwinden musste. Es ist schön, als junger Mensch die Region mitzugestalten. Wenn ich heute im Walgau mit dem Rad fahre, denke ich oft an diese Zeit zurück.

Ideenwerkstatt im Sportplatzzelt

Für mich war es für meine ganze Entwicklung zentral, dass ich nicht nur nach Wien und in die Welt hinausging, sondern auch in Nenzing und der Umgebung etwas geschaffen habe. So ging der Bezug zur Region nie verloren. Deshalb halte ich es für sehr wichtig, dass Regionen oder Gemeinden den Studierenden oder in Ausbildung Befindlichen Ferienjobs anbieten – und zwar interessante Sachen! Damit bleibt man dem Herkunftsort verbunden und ebnet vielleicht sogar den Weg zur Rückkehr.

Das betrifft besonders junge Frauen. Wir haben zwar keine Landflucht im Walgau, aber sehr wahrscheinlich eine Veränderung in der Bevölkerungsstruktur. Junge Frauen – immer schon mobiler und gut ausgebildet, aber auch weniger dafür vorgesehen, die elterlichen Betriebe zu übernehmen – gehen vom Land weg. Die Antwort darauf sind nicht in erster Linie Kindergärten und Kinderbetreuung. Wenn du aus der Stadt kommst, weißt du schon, wie du das organisierst. Sondern es ist viel mehr, sich eingeladen und vielleicht sogar provoziert zu fühlen, mitzugestalten.

Gerade entsteht am alte Sportplatz in Nenzing eine neue Siedlung. Gleich zu Beginn ist der Nenzinger Bürgermeister Florian Kasseroler auf mich zugekommen und meinte: „Was meinst du, was sollen wir tun?“ Ich habe gesagt: „Wenn die Gemeinde so ein genial gelegenes Grundstück hat, dann muss etwas Anderes entstehen. Etwas mit Qualität. Die Gemeinde kann so ein Grundstück nicht einfach Bauträgern geben und die machen dann die 0815-Baublöcke, die man landauf, landab sieht.“

Preisverleihung zum Studentenwettbewerb „d’Siedlig“ an der TU Wien

Die Gemeinde hat sich darauf eingelassen, in einem Prozess darüber nachzudenken, was „Siedeln“ eigentlich bedeutet. Zuerst veranstalteten wir eine Ideenwerkstatt mit Nachbarn und interessierten NenzingerInnen. Dann haben wir uns erlaubt, noch ein wenig weiter zu spintisieren und einen Studierendenwettbewerb initiiert.

Weil ich in meiner Rolle an der Uni und meiner Rolle als Nenzingerin intensiv dabei war, wurden also neue Lösungen für das Bauprojekt möglich. Das Ziel ist jetzt eindeutig – es zählt in erster Linie die Qualität, und in zweiter Linie der Preis. Der Preis natürlich muss okay sein.

Wenn ich an die Zukunft im Großen denke, an das Thema Klimawandel, die demografischen Veränderungen und die Konflikte in der Gesellschaft, dann ist Nenzing eine kleine Insel. Was ist also Nenzings Rolle in Zukunft? Ich glaube, Impulsgeber in der Region zu sein. Nenzing hat ganz wesentlich dazu beigetragen, dass es die Regio Walgau eine Haltung der Offenheit an den Tag legt, die man durchaus wahrnimmt im fernen Wien. Nenzing geht gut damit um, Zukunftsprobleme zu bewältigen. Und ich? Ich wirke an der Zukunft Nenzings einfach so im Alltag mit. Wir Ausheimische tragen ideell zum Ort bei, durch unsere persönlichen Beziehungen zu den Menschen.