Mit ihren Gemälden macht die Künstlerin und Friseur-Diplompädagogin Andrea Baumüller ihre Kalser Wurzeln sichtbar. In ihrem Herkunftsort hat sie nicht nur eine, sondern gleich zwei Familien. Sie lebt nicht mehr in Kals, aber ist und bleibt dem Gefühl nach Einheimische.

Wie nabeln uns im Leben mehr als nur einmal ab. Es beginnt mit der Geburt, aber der Prozess der Abnabelung findet unzählige Male statt und bekommt immer ein neues Gesicht. Es ist ein mordsmäßiges Thema für jeden von uns – das Thema der eigenen Wurzeln und was davon bleibt. Das hat mir Sicherheit gegeben, mich diesem Thema schöpferischdurch die Malerei anzunähern.

Andrea Baumüller bei der Ausstellungseröffnung der „Kalser Wurzeln“ (c) Marlis Stubenvoll

Mein Vater ist vergangenes Jahr gestorben. Er durfte alt werden. Im selben Jahr gab es ein großes Unwetter auf unserer Alm in Kals. Da habe ich gemerkt, wie verwundbar die Erde ist und wie sensibel ich darauf reagiere. Mit welcher mächtigen Gewalt die Naturelemente die Erde aufreißen. Die Wurzeln liegen

dann brach. Was passiert mit den Wurzeln, die man einfach so ausreißt? Dieses Ereignis löste in mir einen neuen Zugang, ein neues Bewusstsein zum Thema Wurzeln und Verbundenheit aus.

Ich bin Kalserin. Das ist auch meine Identität. Ich lebe jetzt in Nordtirol, bin dort berufstätig, verheiratet, habe dort meinen Lebensmittelpunkt und habe auch (hier) wieder Wurzeln geschlagen. Ich merke aber auch, dass die Wurzeln zu meiner Ursprungsfamilie im Alter noch stärker werden. Ich kann jetzt mehr Parallelen zwischen mir und meiner Mutter ziehen. Ich frage mich jetzt, welche Eigenschaften ich von meinem Vater übernommen habe.

Mit dem Begriff „ausheimisch“ kann ich daher wenig anfangen. Es fühlt sich an wie eine Begriffszuordnung in einer Statistik. Wenn ich einmal nicht mehr leben sollte, dann bin ich „Ausheimische“. Aber solange ich meine Verbundenheit zu meiner Heimat leben kann und liebe, schätze und darauf stolz bin, solange bleibe ich eine (Ein)heimische. Eine (Ein)heimische, die auswärtig lebt. So würde ich es zusammenfassen – ich bin auswärtige Kalserin.

Ich bin 1963 in eine Kalser Großfamilie hineingeboren. Damals war der Tourismus in Kals schon eine wichtige Einnahmequelle. Weil meine Mutter mit den Gästen auf dem Hof viel zu tun hatte, kümmerte sich meine Tante um mich. So bekam ich eine zweite Mutter, die „oane Mama“, auf Kalserisch. Ich habe das Glück, mit dieser Familie nach wie vor verbunden zu sein. Ich kann zur „oanen“ Familie gehen und zu meiner eigenen, wenn ich etwas brauche. Diese selten wertvolle Verbundenheit prägt mich mein Leben lang.

In meiner Jugend war immer klar, dass man als junger Mensch für eine Zeit lang aus Kals weggehen muss, um eine Ausbildung abzuschließen. Meine künstlerische Ader brachte mich nach meinem Pflichtschulabschluss und einer einjährigen Fachschule in Lienz zum Friseurberuf. Das Gestalten, das Formen und die Arbeit mit Farben liegen mir. Mit 19 Jahren leitete ich bereits einen Filialbetrieb in St. Jakob im Defreggental. Das Friseurgeschäft war so erfolgreich, dass es mir letztlich zu viel geworden ist.

Ich bin dann aus Neugierde ein Jahr lang nach Salzburg gegangen. Das war ernüchternd. Geld war mit meinem Gehalt natürlich immer ein Thema. Salzburg war noch dazu teuer und „schickimicki“. Das hat mich verunsichert und traurig gemacht. Als Reaktion darauf habe ich angefangen, mir meine Wände bunt anzumalen. So habe ich begonnen, als Künstlerin tätig zu sein. Ich habe in statischen Formen und starken Farben Schutz gesucht. Später kam das Gefühlvolle, Fließende der Aquarellfarben und Tempera. Ich habe nie aufgehört zu malen. Das bin ich, mit jedem Pinselstrich.

Meine Bilder sind teils mit der Kalser Geschichte, der Natur und Landschaft stark verbunden. Wenn ich meine aktuellen Bilder in meiner Herkunftsgemeinde ausstelle, dann ist das eine Einladung an die Bevölkerung, sich mit ihren eigenen Wurzeln auseinanderzusetzen. Aber keiner muss oder soll. Es ist für mich wichtig, dass der Mensch selber entscheidet, was er lernen und sehen möchte. Jeder hat die Chance, seine Wurzeln leben zu lassen. Diese Chance trage ich in meinen Heimatort zurück.

Die Kalser Natur ist Inspiration für Andrea Baumüllers Bilder (c) Andrea Baumüller

Es gibt in der Mentalität der Kalser leider immer noch eine Grenze gibt zwischen jenen, die hier wohnen und denen, die auswärts leben. Wenn man von außen hereinkommt, ist man kein richtiger Kalser mehr. Von Herz zu Herz ist das kein Thema, aber sachlich betrachtet schon. Daher würde ich mir eine Möglichkeit wünschen, meiner Verbindung zu Kals eine Form zu geben.

Ich könnte mir im Ansatz vorstellen, einen speziellen Tag im Jahr ins Zeichen der auswertigen Kalser zu stellen. Der Austausch könnte als Zeichen der Verbundenheit und Dankbarkeit vielleicht sogar in der Einführung eines Vereinsbeitrages seinen Ausdruck finden. So könnte man für Nachhaltigkeit in der Beziehung zwischen den auswärtigen und lokalen Kalsern sorgen.

Kals ist etwas ganz Besonderes, Kals hat Zukunft und Perspektiven. Kals ist auf einem guten Weg und ich sage: Macht weiter so, ich bin stolz eine Kalserin zu sein.