Markus Crepaz ist Professor für Politikwissenschaft und Leiter des Department of International Affairs an der University of Georgia in Athens. Der gebürtige Nenzinger entdeckte sein politisches Interesse bei der Herstellung von Käsescheiben und hielt bereits Vorträge über Vertrauen und Diversität vor dem Hintergrund von Kuhglockengeläut. In den letzten Jahren hat er mehr Nenzinger Berge erwandert, als jemals zuvor.

 

Liebe und Arbeit – das sind die beiden Dinge, die Leute dazu bewegen, das Land zu verlassen und um die halbe Welt zu gehen. Ich habe als Politikwissenschaftsstudent in Salzburg eine Amerikanerin namens Laurie kennengelernt. Sie war Austauschstudentin von der Bowling Green State University in Ohio. Und wie das Leben so spielt, ging ich 1985 mit Laurie in die USA.

Nach einem halben Jahr endete die Beziehung, aber mir gefiel ungeheuer, wie in den USA Politikwissenschaft unterrichtet wird. Das war ein Weckruf. Also bewarb ich mich für ein Doktorat an verschiedenen amerikanischen Universitäten. Das war also, was mich in die USA gebracht hat: Eine Kombination aus Beruf und Liebe.

(AJ Reynolds/Staff, @ajreynoldsphoto)

Als ich 1987 als Doktorand an der University of California angenommen wurde, kannte ich in ganz Kalifornien keine Menschenseele. Ich miete ein Auto und kaufte eine Straßenkarte um zu sehen, wo diese Universität überhaupt liegt. Am Tag nach der Ankunft fuhr ich zum Institut für Politikwissenschaft und sagte zur Sekretärin: „Okay, I’m here. My Name is Markus Crepaz and I’m here.“ Die University of California gilt weltweit als eine der Top fünf in Politikwissenschaften. Ich kann gar nicht beschreiben, was ich dort alles gelernt habe.

Heute bin ich Leiter des Department of International Affairs, aber meine Schulkarriere war steinig. Nach dem ersten Jahr Handelsakademie in Feldkirch bin ich mit fünf Fünfern rausgeflogen. Aber mein Onkel hat damals gesehen, dass mehr in mir steckt, und hat mich dazu ermutigt, in Bregenz in die Abendhandelsakademie zu gehen. Zusätzlich arbeitete ich 40 Stunden in der Woche. Einer dieser Jobs hat mich zur Politikwissenschaft geführt.

Bin ich Amerikaner?

Am Anfang war Migration nicht so sehr mein Thema. Meine Felder waren politische Ökonomie, politische Institutionen, und später Methoden aus der Politikwissenschaft und Konstruktivismus. Vor etwa zehn Jahren begann ich mich besonders für Integration und Identität zu interessieren. Ich glaube, ganz tief im Inneren zieht es mich zu Immigrationsthemen, weil ich selbst Immigrant bin.

Kann ich Österreicher bleiben, obwohl ich schon seit mehr Jahren in den USA lebe, als ich je in Österreich oder in Nenzing gelebt habe? Bin ich Amerikaner?

Was ich sagen kann, ist, dass für mich Nenzing und Österreich sehr, sehr wichtig sind. Und ich glaube, dass man mehrere Identitäten haben kann. Man fühlt sich, wie wenn man zwischen zwei Stühlen sitzt. Es ist etwas unangenehm – einmal sitzt man auf dieser Seite, einmal auf der anderen und rutscht hin und her. Aber man hat einen wunderbaren Blick nach vorne. Und man sieht Dinge, die andere nicht sehen.

Weltpolitik im Kuhstall

Ich verbringe jeden Sommer eine Woche bis zehn Tage in meiner Herkunftsgemeinde, um meine Mutter an ihrem Geburtstag zu besuchen. Ich kehre nach Nenzing zurück mit den Augen eines Touristen. Früher bin ich nie gewandert. Jetzt versuche ich das aufzuholen und diese Gegend noch besser kennenzulernen. Das hat vielleicht etwas mit Identitätssuche zu tun. Als interessierter Leser der Bürgermeistermitteilungen weiß ich genau, was in der Gemeinde Nenzing vor sich geht. Ich würde persönlich gerne mehr involviert sein. Aber ich sehe die Distanz natürlich als Problem.

2009 konnte ich mein Wissen zurück nach Nenzing tragen. Es gab eine Veranstaltung mit dem Namen „Weltpolitik im Kuhstall“. Die Gemeinde lud mich dazu ein, über die Bedeutung der Globalisierung für Nenzing zu sprechen. Ich hatte eine Powerpoint-Präsentation, die Technik funktionierte wunderbar, und während ich sprach, hörte man von draußen das Läuten der Kuhglocken auf der Weide.

Damals sprach ich darüber, welche ökonomische Strategien Nenzing und Vorarlberg nutzen sollten, um in einer globalisierten Welt zu bestehen. Ich habe meine Theorien von Vertrauen und Diversität aus der Migrationsforschung in den Vortrag eingebracht. Man kann empirisch nachweisen, dass diverse Teams kreativer sind. Leute, die einen anderen Hintergrund haben, blicken auf das gleiche Problem, aber aus einer anderen Perspektive. Und die sehen andere Dinge, die wir nicht sehen. Genau das ist es, was man braucht, um kreativ zu sein.

Für Nenzing wünsche ich mir eine Zukunft, in der wir ohne Angst nach vorne schauen, wissen, wer wir sind, woher wir kommen, und gerade deswegen in der Lage sind, tolerant zu sein und andere Menschen in unser Leben einzubeziehen. In den nächsten zehn Jahren wird sich für mich die Frage stellen, ob ich nach Nenzing, oder Österreich zurückkehre. Das ist schon möglich. Wenn ich das tun sollte sollte, würde ich gerne meinen Teil zu dieser Zukunft beitragen.

(c) andreas ganahl